Handwerk – auch ein Krisen­meister?

Die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg zeigen deutliche Spuren in der Wirtschaft. Hinzu kommt das Problem des Fachkräftemangels. Norbert Lanz, Kreishandwerksmeister, und Claudia Mohr, Geschäftsführerin der Kreishandwerkerschaft Westholstein mit Sitz in Horst bei Elmshorn, skizzieren im Expertengespräch mit dem WEP Report die Situation im Handwerksbereich. Mit seinen kleinen und mittelständischen, zumeist inhabergeführten Betrieben gilt er als Rückgrat der deutschen Wirtschaft und stellt auch im Kreis Pinneberg einen der wichtigsten Wirtschaftszweige dar.

Norbert Lanz, Kreishandwerksmeister, und Claudia Mohr, Geschäftsführerin der Kreishandwerkerschaft Westholstein, gaben dem WEP Report ein Experteninterview über die Situation im Handwerk. Foto: Kreishandwerkerschaft Westholstein

Herr Lanz, die Kreishandwerkerschaft Westholstein vertritt 16 Innungen mit rund 900 Mitgliedsbetrieben in den Kreisen Pinneberg und Steinburg. Wie geht es Ihren Mitgliedern mit den aktuellen Herausforderungen, sind sie auch ein Krisenmeister?

Fangen wir mal mit den Fachkräften an. Die Betriebe kämpfen nicht erst jetzt, sondern schon seit Jahren gegen den Fachkräftemangel. Trotz vieler Bemühungen, wie unsere Durchführung von Imagekampagnen, ist es immer schwieriger, qualifiziertes Personal und geeignete Auszubildende zu finden. Und das zieht sich wie ein roter Faden durch sämtliche Gewerke. Friseure, Bauhandwerk, Metallbau, Kfz-Werkstätten oder wo auch immer – uns ist kein Bereich bekannt, in dem nicht gesucht wird. Die Pandemie hat diesen Effekt vor allem im Nachwuchsbereich noch verstärkt. Berufsinfomessen fanden nicht statt, Praktikumsmöglichkeiten waren eingeschränkt. Beides ist aber sehr wichtig, denn zu oft fehlt den jungen Leuten die Vorstellung vom Arbeitsleben und von unseren Handwerksberufen.

Frau Mohr, wie machen Sie jungen Leuten das Handwerk auf solchen Veranstaltungen, die ja nun endlich wieder stattfinden können, denn schmackhaft?

Auf den Messen zeigen wir ihnen die Vielfältigkeit des Handwerks mit seinen mehr als 130 Ausbildungsberufen und den vielen Karrieremöglichkeiten auf. Die Ausbildung kann dual oder in Kombination mit einem Studium erfolgen, Gesellen können sich zum Meister, Techniker und zum Technischen Betriebswirt weiterbilden. Auch ein Ingenieursstudium ist möglich. Handwerk bietet somit Chancen in allen Hierarchiestufen bis hin zur Betriebsübernahme oder - gründung und hat sich zudem als krisensicher erwiesen. Wichtig zu vermitteln ist uns auch, wie erfüllend die Aufgaben sein können. Gerade im Bauhandwerk ist das, was man geschaffen hat, oft etwas Kreatives und Bleibendes. In den Praktika können Schülerinnen und Schüler dann am besten feststellen, in welchem Handwerksbereich und mit welchem Material sie am liebsten arbeiten würden. Und auch, ob die Chemie mit den vielleicht zukünftigen Kollegen stimmt. Das ist ebenso wichtig.

Sie sprachen eben von Krisensicherheit. Können die Fachkräfte, die im Handwerk arbeiten oder arbeiten wollen, auch in der aktuellen Wirtschaftssituation davon ausgehen, dass die Jobs sicher sind?

Dies ist eine nie dagewesene, völlig außergewöhnliche und deshalb schwer zu beurteilende Situation. Erst die Pandemie, und kaum hatten wir die Folgen einigermaßen gut überstanden, kam der Krieg. Gewiss werden sich Fluchtmigration aus der Ukraine, Sanktionen und andere Kriegsfolgen, aber auch die neuerlichen Lockdowns in China auf unseren Arbeitsmarkt auswirken, auch im Handwerksbereich. Positiv gesehen, hoffen wir auf ausländische Fachkräfte, die dem Handwerk zugutekommen könnten. Wir kümmern uns ja auch längere Zeit schon um die Integration von Migranten und Flüchtlingen.

Sehen Sie Anzeichen für Veränderungen, Herr Lanz?

Nach neuesten April-Zahlen der Bundesarbeitsagentur haben wir bereichsübergreifend eine nach wie vor rückläufige Arbeitslosenquote, die im Kreis Pinneberg mit 4,5 Prozent sogar unter dem bundesweiten Wert von 5 Prozent liegt. Und Personal wird immer noch gesucht. Die Auftragslage der Handwerksbetriebe ist nach wie vor gut. Ihr Problem liegt eher darin, nicht alle Aufträge und Termine wunschgemäß erfüllen zu können. Denn zu dem Fachkräftemangel gesellten sich mit der Pandemie Lieferengpässe und daraus resultierende Kostensteigerungen bei den Materialien, die der Ukraine-Krieg nun noch einmal verschärft hat. Teils müssen die Betriebe mit wochenlangen Lieferzeiten und mit Tagespreisen leben. Dazu kommen die kletternden, hohen Energiekosten. Durch diese unsichere Entwicklung in mehreren Bereichen fehlt den Betrieben Planungs- und Kalkulationssicherheit. Das drückt natürlich auf die Stimmung. Und das übrigens nicht nur bei den Betrieben und ihren Mitarbeitern, sondern auch bei ihren Kunden.

Wo gibt es besonders häufig Materialprobleme und welche Auswirkungen haben sie?

Zunächst bestand in der Baubranche ein erhebliches Liefer- und Kostenproblem bei Holz und weiterverarbeiteten Holzprodukten. Dies hat sich wieder etwas normalisiert. Dafür gibt es andere betroffene Materialien, etwa Dachziegel oder Beton. Das Fehlen von Zubehörteilen, zum Beispiel im Elektro-, Kfz-, Heizungs- und Sanitärbereich, stört inzwischen den gesamten Tätigkeitsablauf. Als Gründe seien hier unter anderem die Abhängigkeit von Produkten aus dem Ausland - Stichwort Halbleiterchips - oder Lieferschwierigkeiten wegen fehlender Transportmöglichkeiten - Stichwort Containerfracht - genannt. Manchmal fehlen wirklich nur Kleinteile, die das große Ganze in der Produktion erheblich und nachhaltig behindern. Auch unsere Bäcker sind betroffen. Sie sind mit drastisch höheren Kosten für das Beheizen der Backöfen belastet und, weil Rohstoffe wie Weizen und Sonnenblumenkerne aus der Ukraine und Russland fehlen, mit knappen, teureren Backzutaten konfrontiert. Unsere Metallbranche kämpft vor allem mit Stahlproblemen, die sich auf Liefertermine und Kosten vom Rohstoff bis hin zu Kleinteilen wie Schrauben auswirken. Auch Textilreiniger haben erhebliche Mehrkosten aus dem Energiebereich zu tragen. Die Beispiele ließen sich reichlich fortsetzen, denn nahezu jedes Gewerk ist betroffen.

Was sagt Ihnen beiden der Blick in die Zukunft?

Mohr: Das Handwerk hat eine hohe Flexibilität und Anpassungsfähigkeit an die Situation, kann sie ja aber nicht unmittelbar beeinflussen. Wenn es wirklich ungünstig läuft, geht es vielleicht nicht mehr so gut voran. Und dann wird sich auch eine weitere Herausforderung, der wir ohnehin schon lange gegenüberstehen, verstärken. Das ist das Spannungsdreieck zwischen zufriedenen Mitarbeitern, begeisterten Kunden und einer nachhaltigen Wertschöpfung für die Unternehmen. Das heißt, das Personal will gute Löhne und Arbeitsbedingungen, die Kunden wollen Qualitätsarbeit zu günstigen Preisen und die Unternehmen müssen ihre Kosten tragen und investieren können. Diesen Spagat schaffen viele Betriebe nur noch, weil sie sich spezialisiert und Angebotsnischen gesucht haben. Denn Großaufträge mit groß dimensionierten Ausschreibungen können oftmals nur von auswärtigen Anbietergemeinschaften angenommen werden. Die lokalen Anbieter haben vor allem aus preislichem Grund häufig das Nachsehen. Dabei sind sie es doch, die vor Ort Ausbildungsplätze anbieten, sich sozial sowie gesellschaftlich engagieren und hier in den Gemeinden die Gewerbesteuer zahlen. Dies muss stärker gewürdigt werden.

Lanz: Dem kann ich nur voll zustimmen.

Weitere Information

Kreishandwerkerschaft Westholstein
Handwerkerallee 13 A
25358 Horst (Holstein)
Tel. 0 41 26 – 4 7777 00
www.handwerk-westholstein.de
steinburg@handwerk-westholstein.de

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